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Mit der alten Dame wohin uns der Wind auch treibt

Hallo ihr Lieben, es ist Zeit, dass wir euch eine spannende Geschichte aus den vielen Fahrten der Sigandor erzählen. Rieke berichtet von einer Fahrt nach Brest/Frankreich zu einem Hafenfest. Ähnlich wie die HanseSail in Rostock nur viel, viel größer und eben in Frankreich: Sommer, Sonne, Rotwein – oder so ähnlich…

Die Sonne versank über Schleswig-Holstein, als die Sigandor aus Dänemark kommend in den Hafen Kiel-Holtenau lief. Bereits am Tag zuvor war alles von Bord gebracht worden, was nicht unbedingt benötigt wurde. Die Wassertanks wurden gefüllt und die Lebensmittelvorräte aufgestockt. Das einzig unvollständige war die Crew, die am Abend und am nächsten Morgen anreiste. Neben der Stammcrew und Gästen hatten sich noch Freunde von mir hinzugesellt. Das Schiff war in der vergangenen Woche erneut auf Herz und Nieren überprüft worden und bis ins Detail einsatzbereit. Da wir die Reise in Kiel-Holtenau begannen, war die Kanalfahrt nach Brunsbüttel die erste Etappe. Auf dieser ruhigen Strecke durch den Nord-Ostsee-Kanal gab es ausreichend Gelegenheit sich kennen zu lernen. Und so wurde aus Halbseglern, Vollseglern und Vielleichtseglern während der ersten Meilen Richtung Nordsee eine Crew, die in der Schiffshandhabung unterwiesen war. In Brunsbüttel angekommen warteten wir, gemeinsam mit all den anderen auf den Weg nach Brest befindlichen Schiffen, auf die richtige Gezeit. Denn von nun an fuhren wir in Tidengewässern, in denen es weit mehr als in der gezeitenfreien Ostsee auf das richtige Timing ankommt. Die bereits während des Tages eingeholten Wetterberichte versprachen nichts Gutes und machten eine Weiterfahrt nicht unmöglich, aber wahrscheinlich sehr ungemütlich. Beim Verlassen der Elbe am Vogelsang entstehen durch das flache Wasser sehr hohe und steile Wellen, wenn der ablaufende Ebbstrom und der entgegenkommende Westwind aufeinander treffen. Hier gab es bereits die ersten Umkehrer. Die unterschiedlichen Motorleistungen der Schiffe trieb das Feld schnell auseinander und jeder versuchte den besten Kurs zu finden, um gegen die Wellen voranzukommen. An Bord der Sigandor schaukelte es fürchterlich und wir kamen kaum voran. Einen wirklichen Eindruck bekamen wir jedoch erst bei der Beobachtung der anderen. Bei einem hinter uns laufenden Schiff hob sich der Bug so weit aus dem Wasser, dass wir das Unterwasserschiff bis zur Mitte sehen konnten, um direkt danach in die nächste Welle einzutauchen und fast gänzlich überspült zu werden. Wir waren uns sicher den selben Anblick abzugeben und

speziell die Vielleichtsegler diskutierten bereits im Kopf den Intelligenzgrad, der ihrer Entscheidung mitzufahren zu Grunde lag.

Besonders da schon Viele die Meerestiere mit Warmspeisen versorgt hatten. Ein befreundeter Segler kurz hinter uns, wurde von einem Wellenkoloss so überlaufen, dass das gesamte Schiff für einen Moment nicht mehr zu sehen war. Kurz danach drehte das Schiff um und über Funk erfuhren wir, dass es zurück nach Cuxhaven lief. Auch bei uns an Bord dachte so mancher ans Umdrehen und Abwarten im sicheren Hafen. Umso entspannter waren alle, als wir den Bereich Vogelsang hinter uns ließen und die Wellen länger und sanfter wurden. Letztendlich hatte auch unseren Freunden nur wenige Minuten Durchhalten am Bezwingen des Flachs gefehlt. In den nächsten Stunden kamen wir langsam aber beständig voran. Der Wetterbericht verhieß keine Besserung, sondern am übernächsten Tag viel Wind aus Westen, genau von vorne. Den noch fahrbaren Wind wollten wir möglichst lange ausnutzen und entschieden uns für Scheveningen in Holland. Kaum eingelaufen, das Schiff festgemacht und ein Anlegebier getrunken, konnten wir den nächsten Schiffen beim Einlaufen zusehen und bis zum Abend war der Hafen voll. Fast 20 Traditionssegler lagen so für drei Tage im reduziert hübschen Industriehafen und warteten auf besseres Wetter. Aus der Crew, die sich als Fremde trafen, war inzwischen eine sturmerprobte Gemeinschaft geworden. Kochen bei Seegang, Wache gehen rund um die Uhr, arbeiten an Deck im Seegang sowie das Turnen durch die Strecktaue und das Anlegen der Lifebelts als auch das Navigieren und Logbuch schreiben bis hin zum Maschinencheck alle Stunde war zu einer fest eingespielten Routine geworden. Gerade den Halb- und Vielleichtseglern waren anständige Seebeine gewachsen. Ein Besuch der lokalen Gastronomie und der „Genuss lokaler Köstlichkeiten“ (Heineken) machte dann endgültig Freunde aus ehemals Fremden. Was sich bei dem, was noch vor uns lag, als weise herausstellen sollte.

Seekarte Chenal du Four

Ausgeschlafen, Vorräte aufgestockt und Wasser gebunkert machten wir uns nach drei Tage wieder auf den Weg.

Der Wetterbericht gab uns noch einige Stunden Westwind und dann später leichten Ostwind, dessen Verkündung wohl einiges an Erwartungen auslöste. Endlich Segelwind.

Doch die Ausfahrt aus Scheveningen sollte erneut eine Trennung der Schiffe vornehmen. In der Hafenausfahrt hatten wir Probleme und kamen kaum durch die Wellen. Wieder waren es nur wenige Minuten bis sich die Wellen veränderten und die Fahrt ruhiger wurde. Dem hinter uns laufenden Schiff gelang es jedoch nicht, aus dem Bereich der Hafeneinfahrt herauszukommen, so dass zusätzlich zur Dieselmaschine noch Segel gesetzt werden mussten. Schon bald verloren wir das Schiff aus den Augen. Wir hörten über Funk, dass sie einen weiteren Tag später endgültig umgekehrten. Wie der Wetterbericht versprochen hatte, hielt sich der Westwind noch einige Stunden und machte dann leider einer Flaute Platz. Das war zwar kein Ostwind, aber immer noch besser als West. Auf diese Art erlebten wir den einzigen Tag, so wie sich alle eine Frankreichreise vorstellen: 25Grad Lufttemperatur, glattes Wasser, goldenes Sonnenlicht. Bereits am Nachmittag kam dann der versprochene Ostwind. Der Dreitageswetterbericht sprach von östlichen Winden bis 5 Bft, am nächsten Tag zunehmend 6 Bft und am dritten Tag drehend auf Nordost 8 Bft. Nach unserer Planung wären wir längst in Brest angekommen und würden bereits unser x-tes Anlegebier getrunken haben, wenn der Wind auffrischte. Mit einsetzendem Ostwind wurden dann sogleich Segel gesetzt und wir machten gute Fahrt. Wie es bereits vorher Routine war, wurde auch weiterhin mit großer Sorgfalt das Wetter beobachtet und der Luftdruck jeweils ins Logbuch geschrieben. Kurz gesagt, keine Luftdruckveränderung bedeutet keine Wetteränderung. Bereits am Ende des nächsten Tages bauten sich hinter uns große Wolken auf, was nicht verwunderlich war, in Anbetracht des Wetterberichts jedoch etwas zu früh. Da der Wind leicht zunahm und wir gute Fahrt machten, reduzierten wir gegen Abend die Segelfläche, um bei einem Wetterumschwung in der Nacht schneller reagieren zu können. Eine Vorsichtsmaßnahme, die sich auszahlen sollte. Brest lag vor uns und ein Alternativhafen zum Abwettern weit entfernt. Mit anderen Worten, keine Möglichkeit sich irgendwo zu verstecken und abzuwarten. Wir liefen zu diesem Zeitpunkt nur noch mit einem Rahsegel, was uns als ausreichend erschien. Während der Nacht wurde der Wind immer wechselhafter, einzelne Böen kamen bereits mit Stärke 6 aus Nordost, während Ost noch die Hauptrichtung war. Gegen Morgen ging der Wind dann endgültig mit einem lauten Knall auf Nordost und auf Stärke 7Bft. Der Knall wurde von unserem Rahsegel verursacht, das dem plötzlichen Wechsel der Windrichtung und stärkerem Wind nicht mehr standhalten konnte. Mit vereinten Kräften gelang es uns die Fetzen des zerrissenen Segels einzusammeln und zu verstauen.

Der Wind hatte bereits Stärke 8 Bft in den ersten Morgenstunden erreicht und der Luftdruck fiel weiter, was ein weiteres Zunehmen des Winde wahrscheinlich machte.

Nun bot die Windrichtung und das Seegebiet zwei Möglichkeiten Brest anzulaufen. Bei der Einen hätten wir sehr viel Platz, aber den Nachteil, dass die Wellen, die sich bereits jetzt auf vier Meter aufgebaut hatten, uns nach der Umrundung der vorgelagerten Insel genau von der Seite treffen würden, was für uns ein stundenlanges heftiges Rollen von links nach rechts bedeutet hätte. Der andere Weg hatte den Vorteil, dass wir den Wind weiterhin genau von hinten bekommen würden, aber den Nachteil, das die zu treffende Durchfahrt weniger als 300 Meter Breite aufwies, links und rechts von Felsen umgeben war und zu allem Überfluss wir mit dem Wind gegen den Strom fahren würden. Die sich hinter uns weiter aufbauenden Wellen hatten nach unseren Schätzungen bereits fünf Meter erreicht und noch fuhren wir mit dem Wind und dem Strom. Daraus leitete sich auch unsere Entscheidung ab, mit kippendem Strom würden die Wellen kürzer und steiler werden und diese wollten wir auf keinen Fall seitlich aufs Schiff bekommen. Kaum war die Entscheidung getroffen und der Kurs leicht verändert auf die Einfahrt zum „Chenal du Four“, nahm der Wind erneut zu und erreichte noch in der selben Stunde 10 Bft und die Sicht verschlechterte sich enorm. Froh war ich zu diesem Zeitpunkt, dass wir auf dem bisherigen Weg so viel Wert auf Einweisung gelegt hatten, sodass zu diesem Zeitpunkt eine wirklich eingespielte Crew das Schiff bediente. Obwohl wir die Wellen noch immer von Hinten bekamen, wurde die Arbeit am Ruder immer heftiger. Die achterlichen Seen kamen in kurzer Reihenfolge und verlangten vom Rudergänger höchste Aufmerksamkeit, um durch schnelle Reaktionen ein Querschlagen zu verhindern. Hinzu kam das Problem der Navigation. Zwar hatten wir eine Position über den Satelliten, aber bei so kleinen Einfahrten ist es enorm wichtig auch die entsprechenden Seezeichen zu finden. Und so verteilten sich dann die Aufgaben: Rudergänger, Navigator und alle anderen Ausguck. Da wir bereits vorher viel mit solcher Aufteilung gearbeitet hatten, wusste jeder was zu tun ist und wie gesehene Objekte weitergemeldet werden. Mit einem gewissen Nervenkitzel erreichten wir die Einfahrt, jedoch ohne diese zu sehen. Erst kurz bevor wir den Turm passierten, wurde er von uns gesehen und wir konnten etwas beruhigter die Fahrt fortsetzen. Hatten wir doch jetzt eine wirkliche Landmarke gefunden, von der aus wir uns weiter vortasten konnten. Zu dieser Zeit war der Strom bereits gekippt und die Wellen begannen steiler zu werden. Eine Welle von hinten ist nicht das Schlimmste, was einem passieren kann, aber wenn diese zu hoch werden oder anfangen aufgrund der geringer werdenden Wassertiefen zu brechen, dann wünscht sich wohl jeder hinter den warmen Ofen einer Gaststube und nicht auf See. Die Wellenhöhe erreichte sechs Meter und rollten bedrohlich auf das Schiff zu, sodass jeder, der angeleint am Ruder stand, sich auf ein Bad einrichtete, als sich das Heck wie von Geisterhand mit der Welle hob und genauso sanft wieder setzte. Später wurde der Konstrukteur, der die Sigandor 1909 erbaute, aufgrund dieses Verhaltens mehr als einmal gelobt und betrunken. Denn nichts ist schlimmer als hungrig, erschöpft und dann auch noch klitschnass am Ruder zu stehen. Ein später neben uns laufendes Schiff, dessen Heck und Rudergänger ständig überspült wurden, führte uns dies erneut vor Augen. Trotz dieser angenehmen Eigenschaft wurde es am Ruder nicht leichter, sondern jede Welle oder Wellenfolge drohte das Schiff querzustellen. Und als wir erneut den Kurs ändern mussten, um den nächsten Leuchtturm zu erreichen, wurde diese Arbeit so schwer, dass jeweils zwei Leute gleichzeitig am Ruder stehen mussten um genug Kraft aufzuwenden. Auf diese Art bekamen wir einige Wellen von der Seite, bis wir den Kurs wieder korrigierten und somit einen leichten Eindruck davon, was uns auf der anderen Route widerfahren wäre. Das Schiff kam ins Rollen und begann dabei seitlich auf beiden Seiten über die Schanz Wasser zu nehmen, sodass sich das Deck füllte. Dabei spülte ein Seil von der Nagelbank und beklemmte das hintere Speigat, durch das die Wassermassen wieder entweichen sollte. Binnen weniger Sekunden hatten wir 30-40 Zentimeter hoch das Wasser an Deck stehen und lediglich dem beherzten und schnellen Eingreifen ist es zu verdanken, dass das Speigat wieder arbeitete und das Wasser ablief. Mit einem zusätzlichen Gewicht des Wassers an Deck hätte sich das Rollen extrem verschlimmert und die Steuerbarkeit hätte abgenommen, was nicht wirklich zu einer Verbesserung der Lage beigetragen hätte.Wir hatten noch einen Leuchtturm zu finden, um Brest zu erreichen. Zwar hatten wir das Speigat wieder offen, aber das Rollen wurde nicht weniger, was sich für den Ausguck als zusätzliche Belastung herausstellte. Die Aufmerksamkeit galt jetzt nicht mehr nur dem nächsten Leuchtturm, sondern auch dem eigenen Festhalten. Als der Leuchtturm dann in Sicht kam, waren wir ganz kurz davor, aber auf der falschen Seite. Als hätte der Wind unser Treiben beobachtet, ließ er in diesem Moment etwas nach, sodass wir gefahrlos den Kur ändern konnten und bereits wieder auf dem richtigen Weg waren, als er erneut mit heftigsten Böen über uns hinweg donnerte. Dass uns die Spitze des Sturm erspart blieb, tat der Erleichterung bei fast glattem Wasser in die Rade von Brest einzulaufen, keinerlei Abbruch. Vollzählig ohne Schäden an Schiff oder Mannschaft (lediglich 6 Sektgläser hatten bereits am Vogelsang das Zeitliche gesegnet und die Breitfock hatte einen Riss). Durchgeschüttelt, um eine Erfahrung reicher und einen Tag früher als als geplant liefen wir bierdurstig in den Hafen von Brest ein und machten dort an einer leeren Pier fest. Wenn zu Beginn der Reise nicht jeder wusste, was ihn erwartete, so stand es jetzt unumstößlich fest:

„Mit der alten Damen wohin uns der Wind auch treibt.“

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